Wie viele Sorgen müssen wir uns machen, um endlich keine mehr zu haben? Die Rede ist von der Vor-Sorge, verstanden als Sorge um die eigene Rente. Ein Thema, das für viele Menschen zu einer unangenehmen Begleitmelodie ihres Lebens geworden ist.
Politik und Wirtschaft tun dafür das Mögliche. Mit gnadenloser Regelmäßigkeit beschwören sie das Bild von der klaffenden Vorsorgelücke. Hört man lange genug zu, reift die Überzeugung, dass dieser gähnende Schlund jeden in den Abgrund der Armut reißt, der es wagt zu sorglos zu leben. Also schaffen und rackern wir brav fürs Alter, sonst drohen Bürgergeld und Suppenküche. Wir kaufen eine Wohnung, sparen mit einem Fond oder investieren in den „sicheren Hafen“ Gold. Genug ist es eigentlich nie. Schließlich kommt es ganz darauf an, so flüstern uns Versicherer und Anlageberater ein, wie viele Ansprüche man ans Alter hat. Alles in allem bietet das die perfekte Grundlage für ein Leben in chronischem Stress.
Sorgen: Leben findet immer „jetzt“ statt
Sollten wir trotzdem noch die Zeit haben zu verweilen und ein paar kritischen Gedanken Raum zu geben, dann vielleicht diesen: Wir sorgen vor und befestigen unsere Zukunft mit finanziellen Mitteln, wie noch keine Generation vor uns, aber wer sorgt für das JETZT? Wenn wir zulassen, dass die Angst um das Morgen uns vor sich hertreibt, dann gerät im selben Moment das JETZT unter die Räder. Hat erst einmal der drohende Armutsstand die Gegenwart als Sonderwirtschaftszone für seine Zwecke okkupiert, sind Momente des Bedenkens, welche das ökonomische Funktionieren unterlaufen, nicht mehr willkommen. Mit andern Worten:Die Frage, ob es jetzt gerade gut steht mit mir und meinem Leben, ob ich den richtigen Job habe und den richigen Partner, solches Zögern stört den Prozess des emsig vorsorgenden Wirtschaftens.
Pläne sind auch nicht mehr das …
Aber halb so schlimm. Man kann eben nicht alles haben, oder? Für eine sichere Zukunft sollte die Gegenwart schon mal etwas kürzer treten. Wir kneifen feste die Backen zusammen, doch da wartet schon die nächste Überraschung auf uns: Denn Pläne sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Vielleicht habem wir uns mit dem Eigenheim das mietfreie Wohnen im Altern ergattert, aber – ups! – die Scheidungsanwälte verramschen das Haus, bevor das Haus abbezahlt ist. Mit klugen Finanzprodukten hat man sich ein Polster gehamstert, doch der Aktienmarkt muss leider mal wieder seine Blase korrigieren und damit auch unsere prima Pläne. Wäre noch das physische Gold in unserem Keller, leider ist der Wert desselben inzwischen auch dort angekommen. Alles so schön ausgedacht, doch das Leben lebt sich selbst. Mancher sagt: Planen kann man, doch darauf verlassen sollte man sich bestimmt nicht.
Contra Sorge-Terror
Die geschilderten Zusammenhänge betrachtet Angelika Slavik in einem Artikel der Südeutschen Zeitung. Kurzweilig und provokativ seziert die Autorin aus verschiedenen Blickwinkeln die mitunter bittere Rückseite gut meinender Vorsorge. Im Verlauf des Artikels beruhigt sie den aufgebrachten Leser. Nichts spreche gegen angemessenes Kümmern um die Zeit, die vor uns liegt. Doch eher als ein Spiel sollte dies betrieben werden als mit bitterem Ernst. Eher im Wissen, dass wir uns darauf nicht mit Sicherheit verlassen können. Wer auf diese Weise den Gedanken einer Unberechenbarkeit des Lebens mutig akzeptiert, wird anders mit seinen Ressourcen umgehen. Im Licht von Unsicherheit scheint es wenig verlockend, knallhart vom Munde abzusparen, was doch gerade jetzt so gut schmecken würde. Deshalb rät die Autorin, das Leben zu genießen und sich etwas zu gönnen, sich jetzt um sein Wohlergehen zu kümmern, statt dem allgegenwärtigen Vorsorgeterror zu verfallen.
Ein Investmenttipp
Einen Investmenttipp gibt die Autorin übrigens auch: Wenn alles potenziell vergänglich ist, echte Beziehungen tragen in jedem Fall und in jedem Alter. In Freundschaften zu investieren, in echte Nähe und ein persönliches soziales Netz, das könnte sich auzahlen, vermutet die Autorin – und nicht erst im Alter. Ergänzen läßt sich: Investieren wir zunächst einmal in die Beziehung zu uns selbst. Sorgen wir dafür, dass nicht die Angst uns treibt, zu tun, was wir tun, sondern die Freude am Leben. Was immer wir dann tun und wofür wir sorgen, wird wohl angemessen sein. Stress ade!
Artikel in der Süddeutschen Zeitung: Angelika Slavik: ,Neue Strategien für unsichere Zeiten.“ https://www.sueddeutsche.de/geld/neue-strategien-fuer-unsichere-zeiten-konsumkick-statt-reihenhaus-1.1930420
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